Heft 4

Potsdamer Konferenz
„Situating Childhood & Child Development:
Socio-cultural Approaches and Educational
Interventions“

Editorial

In den letzten Jahren ist das Interesse an der kultur-historischen Erforschung der Kindheit und kindlichen Entwicklung im internationalen Rahmen bedeutend gewachsen. Soziologische, anthropologische, kultur- und bildungswissenschaftliche bzw.
psychologische Studien nehmen zunehmend die Rekonstruktion und kritische Interpretation kindlicher Sinnkonstruktionen, Motive und die von Kindern praktisch gemachten Erfahrungen im Kontext institutioneller Zusammenhänge und kulturhistorischer Praxen in den Fokus. Dabei gewinnen theoretische Konstrukte wie „Vermittlung“, „Tätigkeit“, „Mimesis“, „Teilhabe/ Partizipation“, „Heterogenität“, „Werte“ u.a. an substanzieller Bedeutung.
Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde die Pädologie, nicht aber die Kindheitsforschung oder Entwicklungspsychologie, als die allgemeine Wissenschaft vom Kind angesehen (vgl. auch Rückriem 1996). Obwohl Vygotskij heutzutage als (Entwicklungs-) Psychologe gesehen wird, wurde er in seiner eigenen Zeit als Pädologe betrachtet und die Professuren, die er inne hatte, waren hauptsächlich in Pädologie. Für Vygotskij war die Pädologie eine inter- bzw. transdisziplinäre Wissenschaft, die Wissen aus Disziplinen wie Medizin, Psychologie, Bildungs- bzw. Erziehungswissenschaft sowie Sonderpädagogik integrierte, um es mit Blick auf bestimmte Altersbereiche oder Entwicklungsperioden anzuwenden. Nur so konnte der (auch heute noch anzutreffende) Reduktionismus bei der Erklärung von Phänomenen der kindlichen Entwicklung überwunden bzw. diesem vorgebeugt werden. Nicht nur Vygotskij, sondern auch eine Reihe anderer Wissenschaftler sowohl in der früheren Sowjetunion (z.B. Basov, Bechterev, Blonskij und Zalkind) als auch in anderen Teilen der Welt betrachteten sich als Pädologen. Vor kurzem erhielt die Pädologie viel Aufmerksamkeit im Kontext einer internationalen Konferenz in Genf, auf der die erste französische Übersetzung von Vygotskijs Pädologie vorgestellt wurde (vgl. den Beitrag von Léopoldoff und Schneuwly in diesem Band). Vygotskys Entwicklungsverständnis ist u.E. von besonderer Bedeutung, wenn man sich der sogenannten „neuen Soziologie der Kindheit“ zuwendet oder sich mit klassischen soziologischen und anthropologischen Ansätzen wie jenen von Dewey, Lewin, Met und Politzer beschäftigt.
Die im vorliegenden Band versammelten Beiträge haben einen mehr oder weniger direkten Bezug zu einem internationalen Symposium „Situating Childhood & Child Development: Interdisciplinary Approaches and Educational Interventions“, welches 2010 in Potsdam stattfand. In ihnen werden sowohl die klassischen Debatten über die „Pedology“ und die Theorie von Vygotskij und seinen Kollegen aufgegriffen als auch sozio-kulturelle Untersuchungen zum Problem der kindlichen Entwicklung, der Kindheit aus kulturvergleichender Perspektive sowie zum Lernen und Lehren im Schulunterricht vorgestellt.

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Inhalt

 


 

 

  • Carolin Demuth, Heidi Keller, & Relindis Yovsi
    Mutter-Säugling-Interaktion als kulturhistorisch formierte
    Tätigkeit - Ein Vergleich zwischen Kikaikelaki (Nord-West Kamerun)
    und Münster (Norddeutschland)
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  • Bernard Schneuwly & Irina Leopoldoff-Martin
    Vygotsky's “Lectures and articles on pedology”. An interpretative
    adventure
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  • Alfiya Sultanova, Irina Ivanova
    The Features of a Social Situation of Development of Children
    under Modern Russian Conditions
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  • Hartmut Giest
    Wissensaneignung, Conceptual Change und
    die Lehrstrategie AK
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