Verfasser: Vygotskij, Lev

Titel: Die Bedeutung der Umwelt für die Entwicklung des Kindes

Untertitel:

Verlag: Staatliches Pädagogisches Institut „A.I. Herzen“

Edition:

Reihe: Grundlagen der Pädologie

Ort: Leningrad

Jahr: 1935

Abstract: Bedeutungsproblematik (Bedeutung einer Situation; Wortbedeutung) Diskrepanz der Wortbedeutungen bei Kindern und Erwachsenen Dynamische Umweltkonzeption Erleben als Analyseeinheit Grundprinzip der Herausbildung der höheren psychischen Funktionen Idealformen Innere Sprache Mensch (jeder) seiner ureigenen Natur nach ein soziales Wesen Pädologie (Gegenstand und Aufgaben der) „Pädologie-Dekret“ Prismen-Metapher Rudimentäre (primäre) Formen Spezifik der kindlichen Entwicklung Sprache als Mittel der Verständigung (der Kommunikation, des Umgangs) Sprache als Mittel des Denkens Sprachentwicklung tauber (gehörloser) Kinder Sprachentwicklung (verzögerte) im Ganztags-Kindergarten Theorie der Wechselwirkung zwischen Idealformen und rudimentären Formen Umwelt als Quelle der Entwicklung

Beschreibung: In dieser, im Rahmen eines Vorlesungszyklus über die Grundlagen der Pädologie gehaltenen Vorlesung expliziert Vygotskij in der Behandlung einer Reihe von (eher assoziativ als systematisch miteinander verknüpften) Teilproblematiken den Gedanken, dass es für ein richtiges Verständnis der Rolle, welche die Umwelt in der psychischen Entwicklung des Kindes spielt, stets notwendig ist, an die Umwelt nicht mit einem absoluten, sondern mit einem relativen Maßstab heranzugehen, das heißt die Umweltproblematik immer unter dem Gesichtspunkt der Beziehung zu behandeln, die zwischen dem Kind und seiner Umwelt auf einer gegebenen Stufe seiner Entwicklung besteht. Als wesentliches Moment und zentrale Analyseeinheit dieser Beziehung erweist sich dabei das Erleben (pereživanie) der jeweiligen Situation durch das Kind, in welchem auf untrennbare Weise die personalen Charakteristika des Kindes und die situationalen Charakteristika repräsentiert sind und das als ein „Prisma“ fungiert, „durch welches der Einfluss der Umwelt auf das Kind gebrochen wird“. Im Rekurs auf dieses „Prisma“ wird in der Erörterung eines eindrucksvollen realen Fallbeispiels unmittelbar verständlich, warum dasselbe familiäre Milieu sich auf die Persönlichkeitsentwicklung selbst von Geschwistern des gleichen Geschlechts ganz unterschiedlich auswirken kann. Der „dynamische“ Charakter der Beziehung zwischen Kind und Umwelt zeigt sich auch darin, dass ein und dasselbe Umweltereignis in Abhängigkeit vom intellektuellen Entwicklungsstand des jeweiligen Kindes eine ganz unterschiedliche Bedeutung (bzw. einen ganz unterschiedlichen Sinn) hat, wobei diese Bedeutung (bzw. dieser Sinn) bisweilen erheblich von der Bedeutung (bzw. dem Sinn) abweicht, die das betreffende Ereignis für die Erwachsenen hat (was von Vygotskij am Beispiel von Krankheit und Tod erläutert wird). Als zwar mit dem Problem der Situationsbedeutungen in direktem Zusammenhang stehend, aber nicht identisch mit ihm erweist sich dann das Problem der Wortbedeutungen, präziser: der Sachverhalt, dass die Wortbedeutungen auf den verschiedenen Altersstufen eine unterschiedliche Struktur haben, so dass Kinder, obwohl sie die Wörter denselben Dingen beilegen wie die Erwachsenen, in verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung über kein mit dem der Erwachsenen hinreichend kompatibles System der Kommunikation verfügen. Ein weiteres Thema der Vorlesung ist die Spezifik der kindlichen Entwicklung im Unterschied zu anderen Entwicklungstypen, in welchem Zusammenhang auch die Frage erörtert wird, inwiefern die Umwelt als „Quelle der Entwicklung der spezifisch menschlichen Züge und Attribute des Kindes“ anzusehen ist. Hier ist für Vygotskij der Gedanke zentral, dass, repräsentiert im Verhalten der das Kind umgebenden Erwachsenen, in der Umwelt jene Formen der äußeren und innern Tätigkeit vorhanden sind, die dann auch am Ende der kindlichen Entwicklung in Erscheinung treten – Formen der Tätigkeit, die Vygotskij, in direkter Übernahme der Terminologie der zeitgenössischen Pädologie, als „Final- oder Idealformen“ bezeichnet, und zwar „ideal“ in dem Sinne, dass sie als „Leitbild“ für das fungieren, „was am Ende der Entwicklungsperiode erreicht“ sein sollte; und „final“ in dem Sinne, dass sie das repräsentieren, „was vom Kind als Endresultat seiner Entwicklung erwartet wird“. Im Unterschied hierzu werden die Formen der äußeren und inneren Tätigkeit (als Beispiel der Letzteren führt Vygotskij das arithmetische Denken an), die das Kind selbst in den Entwicklungsprozess einbringt, von Vygotskij als „primäre oder rudimentäre“ Formen bezeichnet. Danach besteht dann „das wohl am meisten charakteristische Merkmal der kindlichen Entwicklung“ darin, „dass diese Entwicklung unter speziellen Bedingungen der Wechselwirkung mit der Umwelt abläuft, indem nämlich die Ideal- und Finalform (eben jene Form, die erst am Ende des Entwicklungsprozesses in Erscheinung treten wird) nicht nur einfach schon in der Umwelt vorhanden ist und von Anfang an mit dem Kind in Kontakt steht, sondern tatsächlich bereits auf der ersten Stufe der Entwicklung einen realen Einfluss auf die primäre Form ausübt“. Dabei ist die Grundlage dieser die kindliche Entwicklung durchgehend bestimmenden „Wechselwirkung zwischen Idealformen und rudimentären Formen“ in dem allgemeineren Prinzip zu suchen, „dass der Mensch ein soziales Wesen ist, dass er außerhalb der Unterstützung seitens der Gesellschaft aus sich selbst niemals auch nur irgendeines der Attribute und Charakteristika entwickeln kann, die sich als ein Ergebnis der historischen Entwicklung der Menschheit herausgebildet haben“ (was von Vygotskij anhand von Negativbeispielen, d.h. Beispielen kindlicher Entwicklung außerhalb der „Wechselwirkung zwischen Idealformen und rudimentären Formen“ erläutert wird). Dieses allgemeinere Prinzip findet dann auch seinen Ausdruck in der (von Vygotskij bereits in anderen Textzusammenhängen wiederholt thematisierten) „Tatsache, dass die höheren psychischen Funktionen des Kindes, d.h. diejenigen seiner Eigenschaften, die für den Menschen spezifisch sind, sich ursprünglich als Formen des Kollektiv-Verhaltens des Kindes manifestieren, als Form der Kooperation mit anderen Menschen, und dass sie erst im Nachhinein zu inneren individuellen Funktionen des Kindes selbst werden“ (wofür als Beispiel wiederum die Herausbildung der inneren Sprache angeführt wird).

Datei: vygotskijumwelt.pdf

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